9.5.2 Rechenregeln

Wir haben schon öfter von “fast allen” Gliedern einer Folge gesprochen. Nun wollen wir diese Idee mathematisch exakt definieren.

9.5.11 Definition. Wir sagen, eine Aussage gilt für fast alle Glieder einer Folge (an)n∈ℕ, wenn es einen Index n0 gibt, so dass die Aussage für alle an mit n ≥ n0 gilt. In Worten heißt “fast alle” also “alle bis auf endlich viele”.

Der Einfachheit halber sagen wir auch, dass eine Aussage über die Glieder einer Folge fast immer gilt, wenn sie für fast alle Glieder der Folge gilt.

9.5.12 Satz (Grenzwertsätze). Es seien (an)n∈ℕ und (bn)n∈ℕ konvergente Folgen mit den Grenzwerten a beziehungsweise b. Dann konvergieren auch die Folgen (an+bn), (an−bn) und (an⋅bn). Genauer gesagt gilt:

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Ist zudem b≠0, so gilt fast immer bn≠0 und es konvergiert auch die Folge (an
bn)n≥k, wobei k so gewählt ist, dass bn≠0 für alle n ≥ k. Genauer gesagt gilt:

an   n → ∞    a
--  −−−−−−→   --
bn            b

9.5.13 Bemerkung. Die Aussagen aus Satz 9.5.12 findet man häufig in Form folgender Rechenregeln wieder:

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Die Gleichungen sind dabei so zu verstehen: Wenn die Grenzwerte auf der rechten Seite existieren, dann existiert auch der Grenzwert auf der linken Seite und es gilt die angegebene Gleichheit. Bei der Rechenregel für Quotienten muss zusätzlich limbn≠0 gelten.

Beweis.
1.
Für den Beweis der Aussage an+bn  n→  ∞
−−−− −−→ a+b sei ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Wir müssen zeigen, dass es ein n0 gibt, so dass
|(an+ bn)− (a+ b)|< ϵ
für alle n ≥ n0.

Dazu setzen wir δ := ϵ
2. Da dann δ > 0 ist, (an) den Grenzwert a und (bn) den Grenzwert b hat, finden wir Indizes na und nb, so dass gilt:

|an − a| < δ für alle n ≥ na und |bn− b|< δ für alle n ≥ n
                                                     b
Setzen wir nun n0 gleich der größeren der beiden Zahlen na und nb, so erhalten wir für alle n ≥ n0:
                                                               ϵ-  ϵ-
|(an+ bn)− (a+ b)|= |(an − a)+ (bn − b )|≤ |an− a|+ |bn− b|< δ + δ = 2 + 2 = ϵ
Wir haben also zu einem beliebig vorgegebenen ϵ > 0 einen passenden Index n0 gefunden. Demnach konvergiert die Folge (an+bn)n∈ℕ gegen die Zahl a+b.
2.
Der Beweis für die Aussage über (an−bn)n∈ℕ funktioniert fast genauso und wird in die Aufgaben verschoben.
3.
Wir zeigen nun die Aussage über (an⋅bn)n∈ℕ. Dazu sei wieder ϵ > 0 vorgegeben. Da die Folge (an) konvergiert, ist sie nach Satz 9.5.8 beschränkt. Das heißt, es gibt ein S > 0, so dass |an|≤ S für alle n ∈ ℕ.

Wir definieren M als die größere der beiden Zahlen S und |b|. Des Weiteren setzen wir

δ := -ϵ---
     2⋅M
Da dann δ > 0 ist, (an) den Grenzwert a und (bn) den Grenzwert b hat, finden wir Indizes na und nb, so dass gilt: |an −a| < δ für alle n ≥ na, beziehungsweise |bn −b| < δ für alle n ≥ nb. Wir definieren n0 wieder als die größere der beiden Zahlen na und nb.

Schließlich gilt Folgendes für alle n ≥ n0:

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Zu einem beliebig vorgegebenen ϵ > 0 gibt es also einen Index n0, so dass

|an⋅bn− a⋅b|< ϵ
für alle n ≥ n0. Demnach konvergiert die Folge (an⋅bn)n∈ℕ gegen die Zahl a⋅b.
4.
Ein ausführlicher Beweis der letzten Aussage wäre unnötig kompliziert. Wir präsentieren hier daher nur eine Zusammenfassung.
(a)
Da b≠0, gibt es einen Index k, so dass bn≠0 für alle n ≥ k.
(b)
Da zudem bn gegen b konvergiert, gibt es einen Index l, so dass für alle n ≥ l die Ungleichung |bn| > |b|−|b|
2-- = |b|
2-- erfüllt ist.
(c)
Wir definieren M als |b|+-|a|
 |b|⋅ |b|2 und δ als ϵ-
M.
(d)
Es gibt Indizes na und nb, so dass gilt: |an−a|<δ für alle n≥na, beziehungsweise |bn−b| < δ für alle n ≥ nb.
(e)
Setze n0 gleich der größten der Zahlen k, l, na und nb.

Dann gilt für alle n ≥ n0:

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Das heißt, die Folge (  )
 an
 bnn∈ℕ konvergiert gegen a
b.

9.5.14 Beispiel. Die Grenzwertsätze sind von großem Nutzen, wenn man komplizierte Folgen auf Konvergenz untersucht: Ist eine Folge aus anderen Folgen zusammengesetzt, deren Grenzwerte man bereits kennt, so lässt sich oft auch leicht der Grenzwert der zusammengesetzten Folge bestimmen, sofern er existiert. Dies wollen wir nun demonstrieren.

Wir kennen bisher nur die Grenzwerte von konstanten Folgen und den Grenzwert der harmonischen Folge (siehe Beispiel 9.5.5). Mit diesem Wissen können wir aber schon so einiges anstellen.

1.
Wir betrachten zuerst die Folge (an)n∈ℕ mit
      1
an = n2
Da wir schon wissen, dass die harmonische Folge (1n)n∈ℕ gegen 0 konvergiert, ergibt sich mit Hilfe des Grenzwertsatzes über Produkte von Folgen:
   ( 1 )        ( 1 1 )     (    1)  (   1 )
lim   -2   =  lim   -⋅--   =   lim -- ⋅ lim --   =  0⋅0  =  0
     n            n n            n       n
Also konvergiert auch (an) gegen 0.

Allgemeiner kann man auf diese Weise zeigen, dass für eine beliebige ganze Zahl k ≥ 1 gilt:

1-  n→  ∞
nk−−−− −−→  0
2.
Betrachten wir nun die Folge (an)n∈ℕ mit
        9     7
an = 6 −--+  --2
        5n   8n
Zunächst benutzen wir den Grenzwertsatz für Produkte von Folgen, um die Grenzwerte von zwei der drei Summanden zu untersuchen. Es gelten
   (   )        (     )     (     ) (      )
lim  -9-   =  lim   9⋅ 1   =   lim 9-  ⋅ lim 1-   =  9⋅0  =  0
    5n            5 n           5        n       5
und
   (  7 )        ( 7  1 )     (    7)  (    1 )     7
lim   --2   =  lim  --⋅-2   =    lim -- ⋅ lim -2   =  --⋅0 =  0
     8n            8  n            8        n       8
Nun können wir, mit Hilfe der Grenzwertsätze für Summen und Differenzen von Folgen, auch den Grenzwert von (an) berechnen.
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3.
Wie in Beispiel 9.5.5 angekündigt, werden wir nun auch noch den Grenzwert der Folge (an)n∈ℕ mit
     4n2− 2n+ 5
an = ----2------
       3n − 1
berechnen. Zunächst formen wir die Berechnungsvorschrift wieder um.
                     (         )
     4n2−-2n+-5-  n2⋅-4-−-2n +-5n2   4−-2n-+-5n2-
an =   3n2− 1   =   n2⋅(3− -1)  =   3 − 1-
                           n2           n2
Der Grenzwert der Zählerfolge
   (    2   5 )             (    2)   (    5)
lim  4 − -+  -2   =  (lim 4)−  lim  -- +  lim -2   =   4− 0+ 0  =  4
        n   n                    n        n
und der der Nennerfolge
   (     1)             (     1)
lim   3− n2   =   (lim 3)−   lim n2   =  3 − 0 =  3
lassen sich mit Hilfe der Grenzwertsätze bestimmen (vergleiche Teilbeispiel 2). Da der Grenzwert der Nennerfolge von 0 verschieden ist, dürfen wir nun den Grenzwertsatz über Quotienten von Folgen anwenden und erhalten:
             (    2  -5)         (   2   5)
lim an =   lim  4-−-n +-n2  =   lim--4(−-n +-n2)-- =  4-
                3 − 1n2-         lim 3 − 1n2       3

9.5.15 Aufgabe.

1.
Beweise die zweite Aussage von Satz 9.5.12. Genauer gesagt, seien (an)n∈ℕ und (bn)n∈ℕ konvergente Folgen mit den Grenzwerten a beziehungsweise b. Zeige, dass dann auch (an−bn)n∈ℕ konvergiert und den Grenzwert a−b hat.
2.
Untersuche die Folge (an)n∈ℕ auf Konvergenz und bestimme gegebenenfalls ihren Grenzwert. Lege dabei folgende Berechnungsvorschriften zugrunde:
(a)
an = 1+2--
3n
(b)
an = 3-
24-
n+-5
n2
(c)
an = n− 1
-----
n+ 1
(d)
an =  2
n-+-n--
3n2− 1
(e)
an = -5n---
n2+ 2
(f)
an =  n2
-----
n+ 2
(g)
an =  3
n-−-n+-2-
 n2 +7
(h)
an = -n2−-n−-1--
2n2+ 3n+ 4

Dies sind dieselben Folgen wie in Aufgabe 9.5.6. Hast du mit deinen Vermutungen dort richtig gelegen?

9.5.16 Satz (Wurzelsatz). Es sei (an)n∈ℕ eine konvergente Folge mit dem Grenzwert a. Gilt a ≥ 0 und an ≥ 0, für alle n ∈ ℕ, so konvergiert auch die Folge (√--)
  ann∈ℕ und zwar gegen √--
 a.

Beweis. Es sei ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Dann unterscheiden wir zwei Fälle.
1.
Ist a = 0, so setzen wir δ := ϵ2. Da (an)n∈ℕ gegen a konvergiert, gibt es einen Index n0, so dass für alle n ≥ n0 gilt:
|an|= |an− 0|= |an− a|< δ
Dann gilt für alle n ≥ n0 auch:
                                      --    --
|√an-− √a-|= |√an-− 0|= √an- = ∘ |an|< √ δ = √ ϵ2 = |ϵ|= ϵ
2.
Ist a > 0, so setzen wir δ := ϵ ⋅√a-. Da (a n)n∈ℕ gegen a konvergiert, gibt es einen Index n0, so dass für alle n ≥ n0 gilt: |an−a| < δ. Daraus folgt:
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Demnach konvergiert die Folge (√ --)
   ann∈ℕ in beiden Fällen gegen √ --
  a.

9.5.17 Satz (Betragssatz). Es sei (an)n∈ℕ eine konvergente Folge mit dem Grenzwert a. Dann konvergiert auch die Folge (|an|)n∈ℕ und zwar gegen |a|.

Beweisidee.
1.
Ist a = 0, so sei ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Da (an) gegen a = 0 konvergiert, gibt es einen Index n0, so dass für alle n ≥ n0 gilt:
|an|= |an− 0|= |an− a|< ϵ
Also muss auch (|an|)n∈ℕ gegen 0 konvergieren.
2.
Es sei nun a≠0. Da (an) gegen a konvergiert, gibt es einen Index n1, so dass für alle n ≥ n1 gilt:
|an− a|< |a|
Anschaulich ausgedrückt bedeutet dies, dass an und a dasselbe Vorzeichen haben. Daraus folgt, dass für alle n ≥ n1 gilt:
||       ||
||an|− |a||= |an− a|
Sei nun ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Nach Voraussetzung gibt es einen Index n2, so dass für alle n ≥ n2 gilt:
|an − a|< ϵ
Definieren wir nun n0 als die größere der beiden Zahlen n1 und n2, so gilt für alle n ≥ n0:
|       |
|||an|− |a|||=  |an− a|< ϵ
Also konvergiert die Betragsfolge (|an|)n∈ℕ gegen |a|.

9.5.18 Aufgabe. Gilt auch die Umkehrung des Betragssatzes 9.5.17? Genauer gesagt, sei (an)n∈ℕ eine Folge reeller. Des Weiteren sei die Betragsfolge (|an|)n∈ℕ konvergent. Konvergiert dann auch (an)n∈ℕ? Begründe deine Antwort, indem du die Aussage entweder beweist oder mit einem Gegenbeispiel widerlegst.

9.5.19 Satz (Vergleichssatz). Es seien (an)n∈ℕ und (bn)n∈ℕ konvergente Folgen mit den Grenzwerten a beziehungsweise b. Dann gelten die folgenden Aussagen:

1.
Gilt fast immer an ≤ bn, so gilt auch a ≤ b.
2.
Gilt fast immer an ≥ bn, so gilt auch a ≥ b.
3.
Gilt fast immer an < bn, so gilt a ≤ b.
4.
Gilt fast immer an > bn, so gilt a ≥ b.

Beweis. Wir zeigen nur die erste Aussage (da die anderen, bis auf wenige Änderungen, genauso bewiesen werden können). Dazu seien (an)n∈ℕ und (bn)n∈ℕ konvergente Folgen mit den Grenzwerten a beziehungsweise b. Zudem gelte fast immer an ≤ bn. Wir nehmen nun an, dass a > b gilt und führen den Beweis durch Widerspruch.

Die Idee dabei ist folgende: Gilt a > b, so sind ab einem gewissen Index n0 die Glieder der Folge (an) nahe genug an a und die Glieder der Folge (bn) nahe genug an b, dass auch an > bn für alle n ≥ n0. Also gilt fast immer an > bn und nicht an ≤ bn. Widerspruch zur Voraussetzung. Wir verwandeln diese Idee nun in einen formal korrekten Beweis.

Wir setzen ϵ := a−b
 2. Da nach Annahme a > b ist, ist ϵ > 0. Nach Voraussetzung gilt zudem liman = a und limbn = b. Also existieren Indizes na und nb, so dass

|an− a|< ϵ   für alle n ≥ na
und
|bn− b|< ϵ   für alle n ≥ nb
Dies ist gleichbedeutend mit
− ϵ <  an− a < ϵ   für alle n ≥ na
und
− ϵ <  bn− b < ϵ   für alle n ≥ nb
Definieren wir n0 als die größere der beiden Zahlen na und nb, so gelten für alle n ≥ n0 insbesondere
a+-b-= 2a-−-a+-b = 2a−  a−-b-= a− ϵ < a
  2        2       2     2             n
und
bn < ϵ+ b = a−-b-+ 2b-= a+-b
             2     2     2
Setzen wir diese beiden Ungleichungen zusammen, so erhalten wir:
     a +b
bn < -----< an   für alle n ≥ n0
       2
Dies steht aber in direktem Widerspruch zur Voraussetzung, dass fast immer an ≤ bn gilt.

9.5.20 Aufgabe. Laut Vergleichssatz 9.5.19 gilt für zwei konvergente Folgen (an) und (bn) mit den Grenzwerten a beziehungsweise b: Ist fast immer an < bn, so gilt a ≤ b.
Frage: Gilt dann nicht auch a < b? Begründe deine Antwort, indem du die Aussage entweder beweist oder mit einem Gegenbeispiel widerlegst.

9.5.21 Satz (Einschachtelungssatz). Es sei (cn)n∈ℕ eine Folge reeller Zahlen. Des Weiteren seien (an)n∈ℕ und (bn)n∈ℕ konvergente Folgen, die einen gemeinsamen Grenzwert g haben. Gilt dann fast immer an ≤ cn ≤ bn, so konvergiert auch (cn) gegen g.
Gleiches gilt, wenn fast immer an ≥ cn ≥ bn  oder  an < cn < bn  oder  an > cn > bn gilt.

Beweisidee. Nach Voraussetzung gilt fast immer an ≤ cn ≤ bn. Ziehen wir jeweils g ab, so erhalten wir:
an − g≤ cn− g ≤ bn− g
Wir unterscheiden nun drei Fälle (wobei wir zur Vereinfachung davon ausgehen, dass n immer groß genug ist, damit an ≤ cn ≤ bn tatsächlich gilt).
1.
Fall: cn −g > 0. Dann gilt: 0 < cn −g < bn −g, sodass auch bn −g > 0. Daher sind die Zahlen cn −g und bn −g beide positiv, entsprechen also ihrem Betrag. Die Ungleichung cn−g ≤ bn−g bedeutet demnach:
|cn− g|≤ |bn− g|
2.
Fall: cn−g < 0. Dann ist auch an−g < 0, sodass die Zahlen cn−g und an−g beide negativ sind. Wir erhalten daher:
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3.
Fall: cn−g = 0. Da der Betrag jeder Zahl ≥ 0 ist, gilt sowohl |cn−g| = 0 ≤|an−g|, als auch |cn−g| = 0 ≤|bn−g|.

Also gilt in jedem der drei Fälle mindestens eine der beiden Ungleichungen |cn−g|≤|an−g| oder |cn−g|≤|bn−g| fast immer. Das heißt insbesondere, dass die Ungleichung

|cn− g|≤  |an− g|+ |bn− g|
fast immer gilt. Ist nun ϵ > 0 beliebig vorgegeben, so müssen wir n0 einfach nur groß genug wählen, damit für alle n ≥ n0 gilt:
|cn− g|≤ |an − g|+ |bn− g|< ϵ-+ ϵ-= ϵ
                          2   2
Also konvergiert auch die Folge (cn) gegen g.