9.5 Grenzwerte

9.5.1 Definition (Grenzwert in Worten). Es sei (an)n∈ℕ eine Folge reeller Zahlen und a ∈ ℝ eine reelle Zahl. Dann heißt die Zahl a Grenzwert der Folge (an)n∈ℕ, wenn sich die Glieder der Folge, mit wachsendem n, der Zahl a immer weiter nähern.

Um eine mathematisch exakte Definition des Grenzwertes einer Folge geben zu können, müssen wir erst klären was das “Annähern an eine Zahl” mathematisch bedeutet. Dazu definieren wir zunächst einen sehr natürlichen Abstandsbegriff.

9.5.2 Definition. Es seien x,y ∈ ℝ zwei reelle Zahlen. Dann nennen wir die Zahl

d(x,y) := |x− y|
den Abstand von x und y.

Haben wir nun zwei reelle Zahlen x,y ∈ ℝ gegeben, so können wir sagen, dass die Zahlen sich nahe sind, wenn der Abstand |x−y| kleiner ist als eine von uns bestimmte, recht kleine, positive Zahl ϵ. Dementsprechend können wir auch sagen, dass eine Folge (an)n∈ℕ nahe an einer Zahl a ∈ ℝ liegt, wenn fast alle Glieder der Folge dieser Zahl sehr nahe sind.

Bei einer fortlaufenden Annäherung rücken die Glieder der Folge, anschaulich gesehen, mit wachsendem n immer näher und näher an die Zahl a heran. In diesem Fall müssen wir auch dann noch fast alle Glieder der Folge als “nahe an a” bezeichnen können, wenn wir die Grenze ϵ immer kleiner und kleiner wählen. Das führt uns letztlich zu der folgenden Definition.

9.5.3 Definition. Es sei (an)n∈ℕ eine Folge und a∈ ℝ eine reelle Zahl. Dann sagen wir, dass die Folge (an) gegen a konvergiert, wenn es zu jedem ϵ > 0 einen Index n0 gibt, so dass für alle n≥ n0 gilt: |an−a|<ϵ. In diesem Fall heißt a Grenzwert oder Limes1 der Folge (an) und wir schreiben

lim a := lim a  := a
    n   n→∞ n
Die Folge (an) heißt konvergent, wenn sie einen Grenzwert hat. Sie heißt divergent, wenn sie keinen Grenzwert hat. Wir bezeichnen (an) als eine Nullfolge, wenn sie gegen 0 konvergiert.

Dass |an−a| < ϵ für alle n ≥ n0 gilt, bedeutet, dass alle bis auf endlich viele (also fast alle) Folgenglieder “nahe an a” sind. Was in diesem Falle “nah” genau bedeutet, hängt von ϵ ab. Da wir für ϵ aber eine beliebige Wahl zulassen, heißt das, dass immer fast alle Folgenglieder nahe an a sein müssen, egal wie streng “nah” definiert ist.

9.5.4 Bemerkung. Es ist wichtig, zu realisieren, dass in Definition 9.5.3 zuerst das ϵ vorgegeben und danach ein passendes n0 gesucht wird. Insofern hängt der Index n0 also vom vorgegebenen ϵ ab. Wenn du willst, kannst du auch eine Notation wählen, die diesen Sachverhalt widerspiegelt. Beispielsweise kannst du den Index mit n0(ϵ) oder mit nϵ bezeichnen.

Ist (an)n∈ℕ eine Folge mit Grenzwert a ∈ ℝ, dann sagen wir auch, dass an, für n gegen ∞, gegen a konvergiert. In Zeichen:

                               n→  ∞
an → a für n→ ∞     oder   an −− −−−−→ a

9.5.5 Beispiel. Nun wollen wir aber endlich einige Beispiele betrachten.

1.
Es sei (an)n∈ℕ eine konstante Folge mit Wert a ∈ ℝ. Dann ist a auch der Grenzwert der Folge (an). Dies ist anschaulich klar, da alle Folgenglieder an denselben Wert haben, nämlich a. Das heißt alle an sind so nah an a, wie man nur sein kann.

Um dies auch formal zu zeigen, müssen wir uns ein ϵ > 0 beliebig vorgeben lassen. Dann gilt für alle n ≥ 1:

|an− a|= |a − a|= 0< ϵ
Also konvergiert (an)n∈ℕ gegen a.
2.
Wir betrachten wieder die harmonische Folge (an)n∈ℕ mit an = 1
n für alle n ∈ ℕ. Anschaulich dividieren wir, mit wachsendem Index, die Zahl 1 durch eine immer größer werdende Zahl n. Die Folgenglieder 1
n nähern sich also immer weiter der 0. Diese Vermutung erhält man auch, wenn man sich den Verlauf des Graphen näher anschaut.

Auf der linken Seite haben wir die ersten paar Folgenglieder abgebildet. Die rechte Skizze zeigt die Folgenglieder 1000 bis ungefähr 5000. Da bei diesem Index-Bereich die Glieder der Folge alle zwischen 0 und 0,001 liegen, haben wir die Skalierung angepasst.

Wir wollen nun formal beweisen, dass die Folge gegen 0 konvergiert. Dazu sei ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Wählen wir n0 so, dass n0 > 1ϵ, dann gilt für alle n ≥ n0:

         |     |  | |
         ||1-   ||  ||1||   1-  1-
|an− 0|= |n − 0|= |n|=  n ≤ n0 < ϵ
Also konvergiert (an)n∈ℕ gegen 0.
3.
Nun betrachten wir die alternierende Folge (an)n∈ℕ mit an = (−1)n für alle n ∈ ℕ. Diese springt immer zwischen den Werten −1 und 1 hin und her. Das heißt, zwei aufeinanderfolgende Glieder der Folge haben einen Abstand von 2 voneinander. Anschaulich sollte die Folge also keinen Grenzwert haben. Dies zeigen wir formal mit Hilfe eines Widerspruchsbeweises.

Dazu nehmen wir an: Die Folge (an)n∈ℕ konvergiert gegen ein a ∈ ℝ. Dann gibt es ein n0, so dass für alle n ≥ n0 gilt: |an−a| < 1. Dadurch erhalten wir einen Widerspruch.

pict

Da aus der Annahme, dass (an)n∈ℕ konvergiert, die falsche Aussage “2 < 2” folgt, muss die Annahme schon falsch gewesen sein. Also besitzt die Folge (an)n∈ℕ keinen Grenzwert.

4.
Zuletzt überlegen wir uns, welches Konvergenzverhalten die Folge (an)n∈ℕ mit
     4n2− 2n+ 5
an = ----2------
       3n − 1
an den Tag legt. Dazu formen wir die Berechnungsvorschrift erst einmal etwas um.
       2           2 (    2  5-)      2   5-
a =  4n-−-2n+-5-= n-⋅-4(−-n +-n)2-= 4−-n-+-n2-
 n     3n2− 1       n2⋅ 3− n12       3 − 1n2
Bei dieser Form kann man sich denken, dass die Terme, die n beziehungsweise n2 im Nenner haben, mit wachsendem Index n immer weniger Einfluss auf den Wert von an haben. Wie wir später (in Beispiel 9.5.14 zu den Grenzwertsätzen 9.5.12) noch sehen werden, ist genau das der Fall.
4− 2n + 5n2   n → ∞     4− 0 + 0     4
--3−-1---  −−−−− −→    --3−-0-- =   3-
     n2
Dies liegt daran, dass die Terme mit n2 unter allen Termen in Zähler und Nenner von
4n2−-2n+-5-
  3n2− 1
am schnellsten (im Betrag) wachsen. Sie bestimmen daher das Verhalten der Folgenglieder für große n.

Auch eine Skizze des Graphen deutet auf dieses Verhalten hin.

Schon nach den ersten paar Folgengliedern ist der Abstand zu 4
3 so klein, dass man in der linken Skizze kaum noch eine Veränderung erkennt. In der rechten haben wir deshalb leicht hineingezoomt und ein paar Glieder mehr dargestellt.

9.5.6 Aufgabe.

1.
Im Folgenden ist jeweils die Berechnungsvorschrift einer Folge der Form (an)n∈ℕ gegeben. Stelle eine Vermutung auf, welche der aufgelisteten Folgen konvergieren und welche nicht. Welche Grenzwerte haben die konvergenten Folgen wohl?
(a)
an = −n
(b)
an = n2
(c)
an = √--
 n
(d)
an = 3n−2
(e)
an = 5−13n
(f)
an = (−1)n1-
n
(g)
an = 2n
(h)
an = (−2)n
(i)
an = 2−n
(j)
an = (−2)−n
(k)
an = √ --
 n2
(l)
an = 1-
n2

Im Verlauf dieses Kapitels werden wir den meisten dieser Folgen wieder begegnen und sie dann genauer auf Konvergenz untersuchen. Wenn es soweit ist, kannst du überprüfen, ob deine hier gemachten Vermutungen tatsächlich stimmen.

2.
Stelle auch zu den Folgen (an)n∈ℕ mit den unten stehenden Berechnungsvorschriften Vermutungen bezüglich ihrer Konvergenz auf.
(a)
an = 1+2
---
3n
(b)
an = 3-
24-
n+-5
n2
(c)
an = n−-1-
n+ 1
(d)
an = n2+ n
--2----
3n − 1
(e)
an = -5n---
n2+ 2
(f)
an = n3−-n+-2-
 n2 +7
(g)
an =   2
-n---
n+ 2
(h)
an = -n2−-n−-1--
2n2+ 3n+ 4

Diese Folgen finden wir konkret in Aufgabe 9.5.15 wieder. Dort werden wir über die nötigen Mittel verfügen, um die Grenzwerte (falls vorhanden) formal korrekt zu berechnen.

  9.5.1 Eigenschaften
  9.5.2 Rechenregeln
  9.5.3 Konvergenzkriterien