10.1.1 ϵ-δ-Kriterium

Da es oft etwas mühselig ist, die Definition 10.1.2 der Stetigkeit nachzuprüfen, wollen wir uns ein Kriterium erarbeiten, bei dem wir nicht mit Folgen hantieren müssen.

10.1.5 Satz (ϵ-δ-Kriterium). Es sei D ⊆ ℝ, sowie a ∈ D. Eine Funktion f : D → ℝ ist genau dann stetig in a, wenn es für jedes ϵ > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für alle x ∈ D gilt:

|x− a|< δ   =⇒    |f(x)− f(a)|< ϵ
Das heißt, ist der Abstand von x zu a kleiner als δ, so muss der Abstand von f(x) zu f(a) kleiner als ϵ sein.

10.1.6 Bemerkung. In Worten ausgedrückt, besagt das ϵ-δ-Kriterium folgendes: Eine Funktion ist genau dann stetig an der Stelle a, wenn man mit f(x) beliebig nahe an f(a) herankommt, solange man den Abstand von x zu a klein genug wählt.

Beweis.
  • Es sei f stetig. Angenommen, die ϵ-δ-Bedingung sei nicht erfüllt. Wir zeigen, dass daraus ein Widerspruch entsteht, die Annahme also falsch sein muss.

    Ist die ϵ-δ-Bedingung nicht erfüllt, so existiert ein ϵ zu dem es kein δ gibt, das die gewünschte Eigenschaft hat. Das heißt, für jedes δ > 0 existiert ein x ∈ D mit |x−a| < δ, aber |f(x)−f(a)|≥ ϵ. Insbesondere gibt es für jedes n ∈ ℕ ein xn ∈ D, so dass

             1
|xn− a|< -- aber  |f(xn) − f (a )|≥ ϵ
         n
    Daraus ergibt sich, dass die Folge (xn)n∈ℕ gegen a konvergiert, die Folge (f(xn))n∈ℕ der Funktionswerte aber nicht gegen f(a) konvergiert. Dies stellt einen Widerspruch zur Voraussetzung dar, dass f stetig ist.
  • Die Funktion f erfülle nun die ϵ-δ-Bedingung. Es sei (xn)n∈ℕ ⊆ D eine Folge die gegen a konvergiert. Wir müssen zeigen, dass dann (f(xn))n∈ℕ gegen f(a) konvergiert.

    Dazu sei ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Nach Voraussetzung existiert ein δ, so dass für alle x ∈ D gilt:

    |x − a| < δ = ⇒   |f(x)− f(a)|< ϵ
    Da die Folge (xn) gegen a konvergiert, existiert ein Index n0, so dass für alle n ≥ n0 gilt:
    |xn− a|<  δ
    Verknüpfen wir nun diese beiden Tatsachen, so ergibt sich, dass für alle n ≥ n0 gilt:
    |f(xn) − f (a )|< ϵ
    Damit ist gezeigt, dass (f(xn))n∈ℕ gegen f(a) konvergiert.

10.1.7 Beispiel. Wir untersuchen einige der in Beispiel 10.1.4 schon behandelten Funktionen nun mit Hilfe des ϵ-δ-Kriteriums.

1.
Es sei c∈ ℝ eine reelle Zahl und D⊆ ℝ eine Menge reeller Zahlen. Dann ist die konstante Funktion
f :D → ℝ,x ↦→ c
stetig nach dem ϵ-δ-Kriterium: Es seien a ∈ D und ϵ > 0 beliebig. Dann gilt für alle x ∈ D
|f (x)− f (a)|= |c− c|= 0 < ϵ
Dies gilt daher insbesondere für alle x ∈ D mit |x−a| < 1. Wir können unabhängig von der Wahl von ϵ also einfach δ := 1 setzen.
2.
Es sei D ⊆ ℝ. Dann ist die Funktion
f :D → ℝ,x ↦→ x
stetig nach dem ϵ-δ-Kriterium. Um dies zu zeigen, seien a ∈ D und ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Setzen wir δ := ϵ, so gilt für alle x ∈ D mit |x−a| < δ:
|f(x)− f(a)|= |x− a|< δ = ϵ
Also ist f stetig in jedem beliebigen a∈D und daher stetig auf dem gesamten Definitionsbereich.
3.
Es seien b,c ∈ ℝ reelle Zahlen, wobei b≠0. Zudem sei D ⊆ ℝ eine Menge reeller Zahlen. Wir wollen das ϵ-δ-Kriterium verwenden, um zu zeigen, dass die Funktion
f :D → ℝ,x↦→  bx+ c
stetig ist. Dazu seien a ∈ D und ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Setzen wir δ := ϵ-
b, so gilt für alle x ∈ D mit |x−a| < δ:
pict

Also ist f stetig.

4.
Wir betrachten nun die Wurzelfunktion
               √ -
f :ℝ ≥0 → ℝ,x ↦→  x
Es seien a ∈ ℝ≥0 und ϵ > 0 beliebig vorgegeben. Setzen wir δ := ϵ ⋅√a--, so gilt für alle x ∈ D mit |x−a| < δ:
pict
5.
Wir betrachten wieder die Vorzeichenfunktion
              (
              || − 1  falls x< 0
              |||
              {
f :ℝ → ℝ, x↦→  ||   0  falls x= 0
              |||
              (   1  falls x> 0
und weisen mittels des ϵ-δ-Kriteriums nach, dass f an der Stelle a = 0 nicht stetig ist. Um dies zu bewerkstelligen, müssen wir ein ϵ angeben für das es kein δ > 0 gibt, so dass für alle x ∈ ℝ
|x − a| < δ = ⇒   |f(x)− f(a)|< ϵ
gilt. Wir können beispielsweise ϵ := 1
2 wählen. Es sei nun δ > 0 beliebig vorgegeben. Setzen wir x := δ
2, so gilt
          ||δ   ||     ||δ||     δ
|x− a| =   ||-− 0|| =   ||-|| =   -- <  δ
           2          2      2
Das heißt, die Bedingung |x−a| < δ ist erfüllt. Dennoch gilt:
                || ( δ)       ||                    1
|f(x)− f(a)| =  ||f  -- − f(0)|| =  |1− 0| =  1  >  -- =  ϵ
                    2                             2
Das heißt, |f(x)−f(a)| < ϵ ist nicht erfüllt. Also kann f an der Stelle a = 0 nicht stetig sein.