9.4 Beschränktheit

9.4.1 Definition. Eine Folge (an)n∈ℕ reeller Zahlen heißt

  • nach oben beschränkt, falls es eine reelle Zahl S ∈ ℝ gibt mit  an ≤ S  für alle n ∈ ℕ. Wir nennen jedes solche S eine obere Schranke von (an)n∈ℕ.
  • nach unten beschränkt, falls es eine reelle Zahl s ∈ ℝ gibt mit  an ≥ s  für alle n ∈ ℕ. Wir nennen jedes solche s eine untere Schranke von (an)n∈ℕ.
  • beschränkt, falls sie nach oben und nach unten beschränkt ist.
  • unbeschränkt, falls sie nicht beschränkt ist.

In Worten: Eine Folge ist genau dann nach oben beschränkt, wenn es eine Zahl gibt, die größer als alle Glieder der Folge ist. Analog dazu ist eine Folge genau dann nach unten beschränkt, wenn es eine Zahl gibt, die kleiner als alle Glieder der Folge ist.

9.4.2 Tipps. Statt eine Folge mittels der Definition 9.4.1 auf Beschränktheit zu untersuchen, kannst du natürlich auch umgeformte Versionen der verwendeten Ungleichungen benutzen. So können wir beispielsweise die Ungleichung an ≤ S wie folgt umformen:

pict

Das heißt, dass du statt an ≤ S auch einfach S−an ≥ 0 überprüfen kannst. Das kann durchaus leichter sein, je nachdem welche Folge du gerade untersuchst.

Um erst einmal eine Idee zu erhalten, welche Zahlen als Schranken in Betracht kommen, kannst du einige Glieder einer Folge explizit ausrechnen. Hast du eine Vermutung, musst du noch nachweisen, dass die gefundene Zahl tatsächlich eine Schranke ist. Das kannst du beispielsweise mit einer korrekten, hauptsächlich wörtlichen Begründung, aber natürlich auch mit einem formalen Beweis tun. Wir werden beide Varianten in den Beispielen sehen.

9.4.3 Beispiel.

1.
Wir betrachten die Folge (an)n≥1 mit
an = 1-
     n
für alle n ≥ 1. Da
    1
0 ≤ --≤ 1
    n
für alle n ≥ 1 gilt, ist die Folge (an)n≥1 beschränkt. 1 ist eine obere Schranke und 0 eine untere Schranke der Folge. Wir zeichnen die ersten paar Folgenglieder zusammen mit den Schranken in ein Koordinatensystem.
2.
Die Folge (bn)n≥0 mit
bn = n− 3
für alle n ≥ 0, ist nach unten beschränkt durch −3. Sie ist aber nicht nach oben beschränkt, da sie letzten Endes über jede fest gewählte reelle Zahl hinauswächst. Zur Veranschaulichung zeichnen wir wieder ein Bild.

Um die Unbeschränktheit formal zu beweisen, lassen wir uns eine beliebige, aber fest gewählte reelle Zahl S ∈ ℝ vorgeben. Wir zeigen nun, dass S keine obere Schranke der gegebenen Folge sein kann, egal wie groß wir S gewählt haben. Dabei können wir in unserer Argumentation davon ausgehen, dass S eine natürliche Zahl ist. Falls das nicht der Fall ist, runden wir S auf die nächstgrößere natürliche Zahl auf.

Ist S < −3, so kann S keine obere Schranke sein, da schon b0 größer als S ist.

Sei also S ≥−3. Wir müssen nun ein Folgenglied an finden, dass größer als S ist. Dazu müssen wir den Index n nur groß genug wählen. Setzen wir beispielsweise n = S+4, so gilt

bn = bS+4 = (S + 4)− 3= S+ 1 > S
Die Zahl S kann also keine obere Schranke sein.

Da wir zugelassen haben, dass S ∈ ℝ beliebig gewählt wird, ist keine reelle Zahl obere Schranke von (bn)n≥0. Das heißt, die Folge hat keine obere Schranke und ist daher nicht nach oben beschränkt.

3.
Nun betrachten wir die Folge (cn)n≥1 mit
cn = − n2
für alle n ≥ 1. Da das Quadrat jeder natürlichen Zahl ≥ 0 ist, gilt −n2 ≤ 0. Also ist 0 eine obere Schranke von (cn)n≥1. Wir können die Schranke aber noch kleiner wählen: Da wir hier nur natürliche Zahlen ≥ 1 als Index zulassen, ist auch −1 eine obere Schranke von (cn)n≥1. Die Folge ist aber nicht nach unten beschränkt.
4.
Die Folge(dn)n≥1 mit
dn = (− 1)n⋅n
ist weder nach unten, noch nach oben beschränkt.
5.
Die ersten zehn Glieder der Folge (en)n≥1 mit
     n−-1-
en = n+ 1
sehen wie folgt aus:
    |  |    |    |   |    |      |    |    |    |
-n--|1-|-2--|-3--|-4-|-5--|--6---|-7--|-8--|-9--|-10--
 en |0 |0,3 |0,5 |0,6 |0,6 |0,714 |0,75 |0,7 |0,8 |0,81
Dabei ist der Wert von e6 gerundet. Zur Veranschaulichung, stellen wir diese und einige weitere Folgenglieder in einem Koordinatensystem dar.

Wir behaupten nun, dass 0 eine untere Schranke und 1 eine obere Schranke von (en)n≥1 ist. Das müssen wir aber auch beweisen.

Die Zahl 0 als untere Schranke zu haben, bedeutet, dass kein Folgenglied negativ ist. Da für alle n ≥ 1 der Zähler n−1 ≥ 0 und der Nenner n+1 ≥ 2 ist, kann der Bruch n−-1
n+1 für kein n ≥ 1 negativ sein. Also ist 0 eine untere Schranke.

Damit 1 eine obere Schranke von (en)n≥1 ist, muss die Ungleichung

n−-1-
n+ 1 ≤ 1
für alle n ≥ 1 erfüllt sein. Wir formen diese Gleichung nun um.
pict

Da n ≤ n+2 für alle n wahr ist, ist damit bewiesen, dass 1 eine obere Schranke von (en)n≥1 ist.

9.4.4 Satz. Eine Folge (an)n∈ℕ ist genau dann beschränkt, wenn es eine reelle Zahl a ∈ ℝ gibt, für die  |an|≤ a  für alle n ∈ ℕ.

Beweis. Es (an)n∈ℕ eine beschränkte Folge reeller Zahlen. Das heißt, es gibt s,S ∈ ℝ, so dass für alle n ∈ ℕ gilt:
s≤  an ≤ S
Definieren wir a als die größere der beiden Zahlen |s| und |S|, so gilt für alle n ∈ ℕ:
|a |≤ a
  n
Damit ist die eine Richtung bewiesen. Für die andere Richtung sei nun (an)n∈ℕ eine Folge mit  |an|≤ a  für alle n ∈ ℕ. Das heißt, es gilt
− a≤ an ≤ a
für alle n ∈ ℕ. Demnach ist −a eine untere Schranke und a eine obere Schranke von (an).

9.4.5 Beispiel. Wir betrachten die Folge (an)n≥1 mit

           1
an = (− 1)n⋅-
           n
für alle n ≥ 1. Für die Betragsfolge (|an|)n≥1 gilt dann:
        |       |
        ||    n 1||     1-
|an| =  |(− 1) ⋅n|  =  n  ≤  1
Nach Satz 9.4.4 folgt daraus, dass (an)n≥1 beschränkt ist. Genauer gesagt gilt:
− 1≤ an ≤ 1
Das heißt, 1 ist eine obere Schranke, -1 eine untere Schranke der Folge (an)n≥1.

9.4.6 Aufgabe.

1.
Im Folgenden sind verschiedene Berechnungsvorschriften für Folgen der Form (an)n∈ℕ gegeben. Entscheide jeweils, wenn möglich ohne Rechnungen durchzuführen, welche Arten von Beschränktheit vorliegen und welche nicht.
(a)
an = 3n+2
(b)
an = n
4-√ --
  5
(c)
an = 2n
(d)
an = 2−n
(e)
an = (−2)n
(f)
an = −2n
(g)
an = √n--
  2
(h)
an = 2+1
--
n
(i)
an = 3−1-
n
(j)
an = sin(n)
(k)
an = −3n+(−1)n⋅n
(l)
an = n+ 1
-----
 n
2.
Denke dir selbst jeweils eine Folge aus, die
(a)
... nach oben, aber nicht nach unten beschränkt ist.
(b)
... nach unten, aber nicht nach oben beschränkt ist.
(c)
... sowohl nach unten, als auch nach oben beschränkt ist.
(d)
... weder nach unten, noch nach oben beschränkt ist.

Begründe jeweils, dass die von dir angegebene Folge die jeweiligen Eigenschaften hat, indem du eine entsprechende Schranke angibst oder zeigst, dass es keine solche Schranke geben kann.

3.
Untersuche die Folge (an)n∈ℕ auf Beschränktheit. Lege dabei folgende Berechnungsvorschriften zugrunde:
(a)
an = n+-1-
 n
(b)
an = -3n---
2n+ 1
(c)
an = 35n− 1
7n-+-1-
(d)
an =   2
2n-−-5-
  n2
(e)
an = 4n2− 3
3n2+-2-
(f)
an =  n+3
2---−-5-
2n−1+ 3
(g)
an = 2n−-7-
5n+ 1
(h)
an = 2n+ 3
------
2n− 5
4.
Es sei (an)n∈ℕ eine arithmetische Folge mit Differenz d. Zeige, dass die folgenden Aussagen gelten:
  • Ist d > 0, so ist (an) nach unten beschränkt, aber nicht nach oben beschränkt.
  • Ist d = 0, so ist (an) konstant und damit beschränkt.
  • Ist d < 0, so ist (an) nach oben beschränkt, aber nicht nach unten beschränkt.
5.
Es sei (an)n∈ℕ eine geometrische Folge mit Anfangsglied a > 0 und Quotient q > 0. Zeige, dass die folgenden Aussagen gelten:
  • Ist q > 1, so ist (an) nach unten beschränkt, aber nicht nach oben beschränkt.
  • Ist 0 < q ≤ 1, so ist (an) beschränkt.
6.
Wir betrachten wieder die Folge (an)n∈ℕ , mit
pict

aus Aufgabe 9.3.4. Zeige, dass die Folge beschränkt ist. Dabei kannst du wie folgt vorgehen:

(a)
Aus Aufgabe 9.3.4 wissen wir bereits, dass die Folge streng monoton wachsend ist. Folgere daraus, dass die Folge nach unten beschränkt ist.
(b)
Zeige, dass für alle n ≥ 2 gilt: Wenn an−1 < 9, dann ist auch an < 9.
(c)
Nach Definition der Folge gilt a1 = 1 < 9. Folgere nun, dass 9 eine obere Schranke von (an) ist.

Ändert sich etwas an der Beschränktheit der Folge, wenn wir statt a1 = 1 das Anfangsglied a1 = 9 wählen? Was, wenn wir a1 = 16 wählen? Begründe jeweils deine Antwort.