10.2.2 Uneigentliche Grenzwerte und Grenzwerte im Unendlichen

10.2.7 Definition (Uneigentliche Grenzwerte von Funktionen; Grenzwerte im Unendlichen). Es sei f : D → ℝ eine Funktion.

1.
Ist a der Grenzwert einer Folge (xn) ⊆ D, dann schreiben wir
lim f(x) = ∞
x→a
falls es zu jeder beliebigen Zahl s∈ ℝ ein δ > 0 gibt, so dass für alle x∈D mit |x−a|<δ gilt: f(x) > s. Wir schreiben dann auch
                                   x→  a
f(x)→  ∞ für x → a    oder   f (x) −−− −−−→  ∞
und nennen ∞ den uneigentlichen Grenzwert von f für x → a. Wir sagen auch, dass f für x → a bestimmt gegen ∞ divergiert oder uneigentlich gegen ∞ konvergiert.
2.
Ist die Definitionsmenge D nach oben unbeschränkt (sodass man x in D beliebig groß werden lassen kann), so schreiben wir
 lim f(x)= c
x→ ∞
falls es zu jedem ϵ > 0 ein r ∈ ℝ gibt, so dass für alle x∈D mit x≥r gilt: |f(x)−c|<ϵ. In diesem Fall nennen wir c den Grenzwert von f für x →∞ und sagen, dass f für x →∞ gegen c konvergiert. Wir schreiben dann auch
                                   x→  ∞
f (x) → c für x → ∞    oder    f(x)−− −−−−→ c
3.
Ist die Definitionsmenge D nach oben unbeschränkt, so schreiben wir
lxi→m∞ f(x)= ∞
falls es zu jedem s ∈ ℝ ein r ∈ ℝ gibt, so dass für alle x ∈ D mit x ≥ r gilt: f(x) > s. Wir schreiben dann auch
f(x)→  ∞ für x → ∞    oder    f(x)−−x→−−−∞−→ ∞
und nennen ∞ den uneigentlichen Grenzwert von f für x →∞. Wir sagen auch, dass f für x →∞bestimmt divergiert.

Analog definieren wir bestimmte Divergenz gegen −∞, sowie eigentliche und uneigentliche Grenzwerte für x →−∞.

10.2.8 Beispiel.

1.
Wir betrachten wieder die Funktion
f :ℝ∖ {0}→  ℝ,x ↦→ 1-
                  x
Für x →∞ und x →−∞ nähern sich die Funktionswerte f(x) immer weiter der 0.
lxim→∞ f(x)= 0         lx→im−∞f(x)=  0
Der (uneigentliche) Grenzwert für x → 0 existiert aber nicht. Betrachten wir etwa die beiden Nullfolgen (  )
  1nn∈ℕ und (   )
 − 1nn∈ℕ, so gilt
 (  )
   1-   -1      n → ∞
f  n  =  1= n  −−−−−−→  ∞
         n
aber
  (   )
     1-    1--       n → ∞
f  − n  =  − 1 = − n −−−−− −→  − ∞
            n
Dies wird durch den Graphen (siehe Bild unten) auch anschaulich klar.
2.
Wir betrachten nun die Funktion
g:ℝ ∖{0} → ℝ, x↦→  12
                  x
Wie schon f konvergiert auch g für x →∞ und x →−∞ gegen 0. Das Verhalten für x → 0 ist aber anders: Der (uneigentliche) Grenzwert existiert und es gilt:
lim g(x) = ∞
x→0
Auch der Verlauf des Graphen lässt dies vermuten.

Das unterschiedliche Verhalten von f und g für x → 0 lässt sich damit begründen, dass f(x) < 0 für x < 0 und f(x) > 0 für x > 0. Das heißt, f hat auf der “linken Seite von 0” ein anderes Vorzeichen wie auf der “rechten Seite von 0”. Die Funktionswerte von g sind “auf beiden Seiten der 0” positiv. Wir werden diese Idee der Annäherung von verschiedenen Seiten im nächsten Teilabschnitt noch konkretisieren.

Einige der Grenzwertsätze für Funktionen 10.2.3 lassen sich in die Welt der uneigentlichen Grenzwerte übertragen.

10.2.9 Satz (Grenzwertsätze für uneigentliche Grenzwerte). Es seien f : D → ℝ, g : D → ℝ und h : D → ℝ Funktionen. Ist a ∈ D und gelten limx→af(x) = c ∈ ℝ, sowie limx→ag(x) = ∞ und limx→ah(x) = ∞, dann gelten auch:

pict

Ist limx→af(x) > 0, so gilt zudem:

lxim→a(f(x)⋅g(x))  =  ∞
Alle diese Aussagen gelten analog auch für den Fall limx→af(x) < 0, beziehungsweise für den Fall, dass g und/oder h für x → a den uneigentlichen Grenzwert −∞ haben.

Gleiches gilt für den Fall, dass wir die Grenzwerte für x →∞ beziehungsweise x →−∞ betrachten, statt für x → a mit a ∈ D. Wir müssen dann nur zusätzlich voraussetzen, dass die Menge D nach oben (bzw. nach unten) unbeschränkt ist.

10.2.10 Bemerkung. Wie schon bei der bestimmten Divergenz von Folgen (siehe Bemerkungen 9.6.2, 9.6.8 und 9.6.10), ist es wichtig, nicht zu vergessen, dass ∞ und −∞nur Symbole und keine tatsächlichen Zahlen sind.

Dennoch können wir (wie schon in Bemerkung 9.6.10), angesichts der Aussagen in Satz  10.2.9, folgende formale Regeln für das Rechnen mit uneigentlichen Grenzwerten einführen: für c ∈ ℝ gelten

pict

Ist c > 0, so gilt zudem:

c⋅∞ = ∞
Wir nennen diese Regeln “formale” Rechenregeln, weil wir ∞ nicht tatsächlich mit reellen Zahlen oder anderen uneigentlichen Grenzwerten verrechnen können. Sie sind lediglich als Kurzschreibweisen für die Aussagen in Satz 10.2.9 zu verstehen.

In den nachfolgenden Aufgaben geht es darum nachzuweisen, dass das Rechnen mit den Symbolen ∞ und −∞ eigentlich keinen Sinn ergibt.

10.2.11 Aufgabe. In dieser Aufgabe geht es darum einzusehen, dass dem Ausdruck “∞−∞” kein sinnvoller Wert zugewiesen werden kann. Es sei a jeweils eine von dir selbst gewählte reelle Zahl oder gleich ∞ beziehungsweise −∞. Denke dir selbst Funktionen f und g aus, für die limx→af(x) = ∞ und limx→ag(x) = −∞ gelten. Dabei soll jeweils eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein:

1.
limx→a(f(x)+g(x)) = ∞
2.
limx→a(f(x)+g(x)) = −∞
3.
limx→a(f(x)+g(x)) = 0
4.
limx→a(f(x)+g(x)) = 1408
5.
limx→a(f(x)+g(x)) = −255

10.2.12 Aufgabe. Hinweis: Die folgenden Teilaufgaben sind denen aus Aufgabe 9.6.13 recht ähnlich. Wenn du diese bearbeitet hast, kannst du deine dortigen Lösungen womöglich nutzen, um mit der jetzigen Aufgabe schneller fertig zu werden.

In dieser Aufgabe geht es darum einzusehen, dass Ausdrücken wie ∞⋅0, ∞∞- oder 00 keine sinnvollen Werte zugewiesen werden können.

Es sei a jeweils eine von dir selbst gewählte reelle Zahl oder gleich ∞ beziehungsweise −∞.

1.
Denke dir selbst Funktionen f und g aus mit limx→af(x) = ∞ und limx→ag(x) = 0. Dabei soll jeweils eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein:
(a)
limx→a(f(x)⋅g(x)) = ∞
(b)
limx→a(f(x)⋅g(x)) = −∞
(c)
limx→a(f(x)⋅g(x)) = 0
(d)
limx→a(f(x)⋅g(x)) = 1408
(e)
limx→a(f(x)⋅g(x)) = −255
2.
Denke dir selbst Funktionen f und g aus, die für x → a einen uneigentlichen Grenzwert besitzen. Dabei soll jeweils eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein:
(a)
limx→a(     )
  f(x)
  g(x) = ∞
(b)
limx→a( f(x))
  ----
  g(x) = −∞
(c)
limx→a(     )
  f(x)
  g(x) = 0
(d)
limx→a(     )
  f(x)
  g(x) = −π
3.
Denke dir selbst Funktionen f und g aus, die für x → a gegen 0 konvergieren. Dabei soll jeweils eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein:
(a)
limx→a( f(x))
  ----
  g(x) = ∞
(b)
limx→a(     )
  f(x)
  g(x) = −∞
(c)
limx→a(     )
  f(x)
  g(x) = 0
(d)
limx→a( f(x))
  ----
  g(x) = −π